Der Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft

Wissensgesellschaft

Wissensintensive Güter und Dienstleistungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Ihr Anteil an der Wertschöpfung, am Export und an der Beschäftigung steigt. Dies belegen auch Statistiken und Gutachten immer wieder. Staaten brauchen eine exzellent funktionierende Innovationskultur als Grundvoraussetzung zur Sicherung von Lebens­qualität und Wohlstand. Dazu bedarf es eines guten Zusammenspiels aller Akteure. Als entscheidende gesellschaftliche Funktionsbereiche sind neben der Politik vor allem Wissenschaft und Wirtschaft gefor­dert. Darüber hinaus ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ein innovationsfreundliches Klima zu erzeugen und eine Wissensgesellschaft zu begünstigen.

Der Begriff “Wissensgesellschaft” wurde schon in den sechziger Jahren verwendet. In einem Artikel im “American Sociological Review” aus dem Jahre 1966 spricht Robert E. Lane von einer “knowledgeable society”. Ganz dem positivistischen Pathos der modernen Wissenschaften der frühen sechziger Jahre verschrieben, sagt Lane eine künftige Gesellschaft voraus, in der das wissenschaftliche Wissen eine zunehmende Bedeutung erlangen wird. Ziel dabei sei es, die Vorstellungen vom Menschen und der Gesellschaft wissenschaftlich zu durchdringen, um deren Entwicklung forschungsgeleitet gestalten zu können. Drei Jahre später veröffentlicht der amerikanische Soziologe Peter Drucker ein Buch mit dem Titel “The Age of Discontinuity”, in dem er ebenfalls den Begriff der Wissensgesellschaft verwendete.

1973 zeigte Daniel Bell im Rahmen seiner Ausführungen zur Kultur und Struktur westlicher Industrienationen (“The Coming of Post-Industrial Society“) auf, dass die wichtigste Ressource der kommenden Gesellschaft die des Wissens sei. Darin führte er den Begriff der “postindustriellen Gesellschaft” ein. Dies war nötig, um sich von der bisherigen Gesellschaftsform – der industriellen – deutlich abgrenzen zu können. So konnten die damit verbundenen Veränderungen in Wirtschaft und Politik treffend charakterisiert werden. In seiner Arbeit nimmt er viele der Entwicklungen vorweg, die derzeit unter dem Phänomen der “Dienstleistungsgesellschaft” diskutiert werden.

In den neunziger Jahren hat sich Nico Stehr neuerlich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. In seinem 1994 erschienenen Buch „Arbeit, Eigentum und Wissen” entwickelt er eine soziologisch begründete Theorie von Wissensgesellschaften, die an Drucker, vor allem aber an Bell anschließt. Die zentrale These lautet, dass die Transformationsprozesse der ökonomischen Struktur moderner Gesellschaften zu einer Verschiebung in der relativen Bedeutung der herkömmlichen Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit führen. Dem Produktionsfaktor “Wissen” schreibt Stehr eine neue, bisher nicht gekannte Bedeutung zu und stellt es neben Kapital und Arbeit.

Merkmale einer Wissensgesellschaft

Nach Stehr deuten folgende Merkmale auf eine Wissensgesellschaft hin:Wissen wird zunehmend zum wichtigsten Produktionsfaktor.

  • Auch die Produktion wird von Wissen bestimmt.
  • Umsatz und Gewinn werden zunehmend aus „Software“ und nicht aus „Hardware“ gezogen.
  • Wandel in der Beschäftigungsstruktur – Aufgabe der Menschen vermehrt auf Herstellen, Sammeln, Verteilen und Verarbeiten von Informationen
  • Abkoppelung des Beschäftigungsniveaus vom Produktionsniveau – weniger Menschen produzieren mehr.
  • Die neue Gesellschaftsformation baut auf der Logik des Zusammenspiels von Personen auf.
  • Systematisches Wissen bekommt eine höhere Bedeutung als praktische Erfahrung.

Die Rede von der “Wissensgesellschaft” beherrscht in letzter Zeit die öffentliche Diskussion. Grundtenor ist, dass die engere Verknüpfung von Wissenschaft und Industrie zu einem Strukturwandel führt. Wissensgestützte Dienstleistungen nehmen darin einen immer größeren Raum ein. Das Schwergewicht der industriellen Wertschöpfung verlagert sich von den Werkhallen hin zu Entwicklung und Entwurf – in Laboratorien und in die Arbeitsprozessgestaltung, in Forschungs-, Informations- und Serviceabteilungen.

Die „Software“ – Forschung und Entwicklung, Marketingstrategien, Finanzierungsmodalitäten, Vertriebswege und -praktiken – wird zur eigentlichen Quelle von Produktivitätssteigerungen, Wettbewerbsfähigkeit und Gewinn. Demnach kommt es zu Verschiebungen in der Bedeutung herkömmlicher Produktionsfaktoren – weg von der Produktion materialintensiver Güter hin zu wissens- und informationsabhängigen Wirtschaftssektoren und Beschäftigungsverhältnissen. In der Folge – so die These – entstünden neue Wissensberufe und damit neue Arbeitsplätze, wofür wiederum besser und höher qualifiziert werden muss. Da laut Modernisierungstheorem der ökonomische und soziale Wandel permanent vor sich geht, ist auch das Ende von Qualifikationsprozessen nicht absehbar. Qualifikationen müssen vielmehr ein Leben lang erneuert werden.

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Wissen im Zeitalter der Informationsexplosion

Wissen

Zu keiner Zeit war es leicht Universalgelehrter zu werden. Auch nicht vor einigen Jahrhunderten, als das verfügbare Wissen noch nicht so umfangreich war, wie das heute der Fall ist. Inzwischen wächst die Menge an Informationen schneller an, als es sich beispielsweise in der Renaissance lebende Menschen hätten vorstellen können. Daraus resultieren auch spürbare Veränderungen in den Bereichen Bildung und Ausbildung.

Das Wissen der Welt übersteigt das Fassungsvermögen des menschlichen Gehirns

Noch im 16. und 17. Jahrhundert gab es so genannte Universalgelehrte, die sich dadurch auszeichneten, dass sie in sehr unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten umfangreiche Kenntnisse hatten. Glaubt man dem Kybernetiker und Didaktiker Helmar Frank, hat das Wissen der Menschheit etwa um das Jahr 1810 herum erstmals das Fassungsvermögen des menschlichen Gehirns überschritten. Einfach alles zu wissen, was man wissen kann, ist selbst für Intellektuelle vollkommen unmöglich geworden.

Aktuell geht man davon aus, dass sich das Wissen der Menschheit inzwischen in etwa alle fünf bis zwölf Jahre verdoppelt. Es wird vermutet, dass sich diese Rate mit der weiteren Verbesserung der technischen Kapazitäten zur Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Daten noch weiter beschleunigen wird.

Transformation von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, wusste schon der antike Philosoph Heraklit. Diese 2.500 Jahre alte Erkenntnis trifft nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Gesellschaften zu. Aus der Industriegesellschaft, die sich aus der Agrargesellschaft entwickelt hat, entsteht eine neue Wissensgesellschaft. Jeanette Hoffmann, Internetforscherin und Leiterin des Verbundprojekts „Internet und Politik“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, schreibt dazu:

„Die Zeit der rauchenden Schlote, der Massenproduktion und monotonen Handarbeit ist vorbei, die Zukunft gehört der Wissensverarbeitung, den intelligenten und sauberen Jobs. Demnach befinden wir uns inmitten eines Strukturwandels, an dessen Ende die Wissensgesellschaft das Industriezeitalter abgelöst haben wird, so wie jenes einst die Agrargesellschaft verdrängte.“

Der Wissenszuwachs der Welt lässt sich näherungsweise an den Archiv-Beständen von Bibliotheken ablesen. Gab es im Jahr 1300 in der Sorbonne-Bibliothek 1338 Bände, so hat sich der Wissensschatz bis ins Jahr 1670 deutlich vervielfacht. In diesem Jahr konnte man in der Bibliothek der Universität Oxford schon 25.000 Bände zählen. Im Jahr 1990 sind es bereits 100.000.000 Bücher, Manuskripte und Abhandlungen. Und täglich erscheinen neue Zeitschriften, Bücher und Publikationen! In den nächsten Jahrzehnten werden wir voraussichtlich mehr Wissen anhäufen, als in den letzten Jahrtausenden.

Bildung ist mehr als nur Ausbildung

Der rasche Zuwachs von Wissen führt dazu, dass bereits existierendes Wissen immer schneller veraltet. Vor wenigen Jahrzehnten hatte man nach seiner Ausbildung ausgelernt. Heute gilt allerdings vielfach, dass das Wissen von Schülern und Studenten bereits zum Zeitpunkt ihres Abschlusses veraltet ist.  Ausbildung ist nie mehr „aus“, der rasante Zuwachs an neuen Informationen macht es erforderlich, sich immer wieder auf den aktuellen Stand zu bringen.

Ein entscheidender Vorteil ist, dass durch die Digitalisierung Wissen nicht mehr nur in teuren Kursen und Büchern zu finden ist. Ein großer Teil davon ist digital gespeichert und für jedermann kostenlos über das Internet zugänglich geworden.

Kompetenzerwerb statt Auswendiglernen

Biografien sind häufig nicht mehr nur dreiteilig. Lebensläufe, die aus einer Ausbildung, einem immer ähnlichen Erwerbsleben und dem daran anschließenden Ruhestand bestehen, werden zunehmend zur Ausnahme. Es wird immer wichtiger, mit neuen, unvorhergesehenen Situationen umgehen zu können. Wichtiger als zu „wissen, dass“ wird das Know-how, das „wissen, wie“.

Da unsere Maschinen immer intelligenter werden, sind in der Wissensgesellschaft andere Fähigkeiten gefragt: Gebraucht werden jetzt Menschen, die die richtigen Fragen stellen und Maschinen dahingehend optimieren, dass sie zu den entsprechenden Bedürfnissen passen.Universalgenies sind heute also nicht mehr Personen, die alles wissen, sondern kreative Menschen, die die Fähigkeit besitzen, Kontexte herstellen zu können und, die es vermögen, souverän mit Wissen und Nichtwissen umzugehen.

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