Gleichberechtigung im Beruf

Der Traum von Mann und Frau

Gespräch mit Annette Green, Regional Vice President bei SAS über die Women-in-Tech-Bewegung. Was ist das Ziel unserer Gesellschaft und wohin steuert die Gleichberechtigung von Männern und Frauen? Ist bei Unternehmen ohne Quote Schluss oder müssen wir ganz woanders anfangen?

Wann wird der Traum einer egalitären Gesellschaft Realität? Lange schon beschäftigen wir uns mit dieser Frage. Auch wenn die Basis gelegt ist: Wir sind uns alle einig, dass die männliche Dominanz zu viel des Guten ist. Es ändert sich wenig und das auch nur beschwerlich.

Matriarchate – so nennt man das angeblich, wenn nicht die Männer, sondern die Frauen bestimmen. Doch halt. Das stimmt so auch wieder nicht. Wenn im Patriarchat die Männer dominieren, ist das Matriarchat durch Gleichheit als Gesellschaftsform gekennzeichnet. Es ist dies nicht die bloße Umkehrung des Patriarchats.

So scheint es nicht verwunderlich, dass die verbleibenden Matriarchate geprägt sind von einer jahrhundertelangen Geschichte des Widerstandes gegen die industrialisierte Welt. „Besonders matriarchale Männer verteidigen ihre Kultur intensiv gegenüber patriarchalen Übergriffen von außen. Sie leben gern in ihrer Gesellschaft.“ (Dr. Heide Göttner-Abendroth, Begründerin der Matriarchatsforschung) Dabei bedeute Matriarchat nicht, dass die Männer die Unterdrückten seien, sondern dass die Gesellschaften in Balance sind, da man von einer Egalität der Geschlechter ausgehe. 

Genau hier scheint bei unserer heutigen Diskussion um Frauen in der Technik (Women-in-Tech) oder Frauenquoten und dergleichen mehr, der Hund begraben zu sein. Warum ist es so schwer, diese Gleichheit herzustellen? Warum verdienen Frauen immer noch weniger als Männer? Warum scheint es noch immer eine Ausnahme zu sein, wenn Frauen technische Berufe ergreifen? Und wieso müssen sogar in Volksparteien die Quoten her? Keine Frage: Die Männer sind die Bösen.

Wir wollten dem Ganzen auf den Grund gehen und sprachen mit Annette Green. Sie ist Regional Vice President von SAS für die Region Deutschland, Österreich und die Schweiz. SAS ist ein global operierender Softwarekonzern mit über 15.000 Mitarbeitern. Bekommen wir von ihr die Antworten, die wir suchen? Kann sie das starre Korsett dieser männlich dominierten Branche aufbrechen?

Frauen haben bei SAS eine wichtige Schlüsselrolle inne, so haben sie in der Weiterbildung eine Vorbildfunktion

Redet man mit Insiderinnen, scheint sie das zu können. Seit sie an der Spitze der Niederlassung ist, habe sich intern vieles verändert. Die Stimmung sei viel persönlicher geworden. Ein neues Netzwerk baue sich auf, das für alle zugänglich ist. Das unsichtbare Männergeflecht zebröckele. Das Matriarchat scheint bei SAS in Heidleberg um sich zu greifen. Und die Männer verfallen offenbar nicht in Angst und Schrecken.

Geht also doch. Aber, Annette Green, reicht es aus, bestehende Systeme bloß durch eine weibliche Präsenz zu verändern oder braucht unsere Gesellschaft einen anderen Impuls?

Nein, es reicht nicht aus. Wir brauchen in der Tat ganz andere Impulse. Wir müssen bei den jungen Frauen anfangen und müssen ihnen das Vertrauen vermitteln, dass sie etwas verändern können. Dass es geht. Vertrauen ist das A und O.

Warum sehen Sie das so?

Weil unsere Branche von außen betrachtet sehr massiv und sehr komplex aussieht. Deshalb müssen wir die Mädchen viel stärker als die Jungen für IT begeistern. Wir müssen sie ermutigen, sich für die Softwarebranche zu interessieren. Ihnen vermitteln, dass ihr Weg in diese Branche gelingen wird.

Sie denken wahrscheinlich daran, mit praktischen Beispielen voranzugehen durch Mentorenprogramme schon in der Schule?

Richtig, das wäre eine Möglichkeit. So zumindest war das bei mir. Auch wenn wir das damals nicht MINT-Karriere nannten. Es ging dennoch in diese Richtung. Ich hatte das Glück, dass ich an die Hand genommen wurde. Ich wurde von meinen Lehrern und Eltern gleichermaßen animiert. Das hat für mich im Nachhinein den großen Unterschied gemacht für mein späteres Interesse an einem MINT-Beruf.

Sie sehen auch die Eltern in der Pflicht?

Absolut. Ich habe selbst zwei Kinder. Ich habe ihnen von Anfang an vermittelt, dass es keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen in Bezug auf Interessen gibt. Das ist bei mir besonders wichtig, weil ich zwei Jungen habe. Ich finde es sehr wichtig, dass sie mit diesem Bewusstsein aufwachsen. Denn sie werden vielleicht selbst einmal Töchter haben.

Die Kinder von heute müssen schon früh begreifen, dass Mathematik und Wissenschaft nicht nur etwas für Jungen sind. Ist es das, was Sie meinen?

Genau das meine ich. Man muss sich mal vorstellen, dass genau die gegenteiligen Botschaften ja auch und insbesondere von den Medien verstärkt werden. Und mit zunehmendem Alter fällt es Mädchen dann natürlich schwer, sich auch nur ansatzweise vorzustellen, dass eine MINT-Karriere denkbar sein könnte. Sie verlieren dann recht schnell das Interesse an Naturwissenschaften, Technologie und Mathematik. Und wenn die Freundinnen dann ebenso konditioniert sind, können wir das vergessen. Ich habe das selbst erlebt.  

Was macht Sie bei Ihren Ambitionen so sicher? Vielleicht wollen die Mädchen gar nicht in die Bereiche Künstliche Intelligenz, Analytik oder neue Technologien. Vielleicht wollen wir die jungen Mädchen nur beeinflussen, weil es gerade schick ist?

Ausgeglichene Meetings bei SAS und das ganz ohne Quote

Das glaube ich nicht. Viele Studien zeigen ja immer wieder, dass die Mehrheit der Mädchen in einem frühen Alter ein sehr starkes Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften haben. Das wird dann später durch gesellschaftliche Konventionen erstickt. Jedes Kind will neue Dinge erfinden und herumexperimentieren. Doch plötzlich ziehen sich die Mädchen zurück. Und dann ist es doch klar, dass aus ihnen keine Data-Scientistinnen oder Analytikerinnen werden. Denn das Herumexperimentieren und kreative Ausprobieren macht diese Berufe ja aus. Ingenieurinnen können neue Modelle und Algorithmen entwickeln, die die Welt verändern. Nur wenn ihre Ambitionen im Keim erstickt werden, sind sie abgestorben.

Wäre es eigentlich nicht auch mal endlich an der Zeit, den Schülerinnen und Schülern mehr von weiblichen Erfinderinnen zu vermitteln?

Aber sicher. Stellen Sie sich mal vor, dass Kindern in US-amerikanischen Schulen fast ausschließlich die Erfolge von männlichen Erfindern vorgebetet werden. Beispiele sind Ben Franklin, Albert Einstein und Leonardo Da Vinci. Aber was ist mit Marie Curie, Rosalind Franklin oder Maria Telkes? Mädchen brauchen weibliche Vorbilder.

Doch was tun Sie in Ihrem Unternehmen, um diesen Missstand zu beheben?

Wir haben ein Analytics-Netzwerk für unsere „SAS-Frauen“, um zunächst mal intern die Diversität zu stärken. Diese tragen wir dann zu unseren Kundinnen. Wir bauen einen Talentpool auf, der zu unserer Verkaufsstrategie gehört. Und wir bieten den SAS-Frauen freiwillig Führungspositionen an. Die werden sie aber nur übernehmen können, wenn wir unseren Kolleginnen dabei helfen, ihr Leben außerhalb der Firma entsprechend organisieren zu können. Und zwar so, dass sie sich auch zu 100 Prozent in ihrem Job auf das konzentrieren können, was sie bei SAS zu tun gebeten wurden und zu dem sie sich bereit erklärt haben. Wir unterstützen jede Form der Mobilmachung von Frauen im MINT-Sektor. Frauen sollen und müssen sich selbst in Netzwerken formieren. Sie werden auch gebeten, Gemeinschaften aufzubauen, um sich gegenseitig zu unterstützen und einen Gegenpart zu entwickeln. 

Mittags wird diskutiert und philosophiert in der SAS-Kantine

Welches Netzwerk können Sie Ihren Kolleginnen empfehlen?

Ich persönlich war im Triangle Women STEM Netzwerk sehr aktiv bevor ich nach Heidelberg kam.  Dieses fördert Programme für die noch junge Karriere von College-Studentinnen. Außerdem hilft es Frauen, die wieder in die Welt der MINT-Jobs zurückwollen.

Frau Green, Sie sind Amerikanerin mit deutschen Wurzeln. Haben Sie festgestellt, dass die Situation in Nordamerika unterschiedlich ist zu der in Europa?

Impressionen des Biergartens – SAS Kultur basiert auf gegenseitigem Vertrauen

Leider ist sie das nicht. Sowohl in den USA als auch in Europa wollen wir bei SAS, dass sich mehr Frauen auf Stellen wie Data Engeneering, Data Scientist, Artificial Intelligence oder Machine Learning bewerben. Das sehen wir aber im Moment nicht. Deshalb stehen wir mit Universitäten und Grundschulen in Kontakt. Dazu ist es auch wichtig zu wissen, dass Analytiker heute aus verschiedenen Studienbereichen wie Marketing, Programmierung, Cloud-Architektur oder Sprachwissenschaften kommen können. Für uns ist kein Mathematik- oder Data Science-Studium Voraussetzung. Sogar hier unterstützen wir Interessentinnen.

Es heißt ja, dass 52 Prozent der MINT-Frauen dieses Feld auf nimmer wiedersehen irgendwann verlassen. Denken Sie, Sie haben bei SAS ein adäquates Programm auf die Beine gestellt, um das zu verhindern?

Ob das nun der Weisheit letzter Schluss ist, den wir bei SAS gehen, weiß ich nicht. Natürlich wird es immer persönliche Gründe geben, warum sich Frauen zurückziehen. Einer davon ist auch, wie sich Männer systemisch an der Kindererziehung beteiligen können. Wird es gesellschaftlich sanktioniert oder nicht? Wir zumindest versuchen, unsere Frauen durch Mentoringprogramme und offene Diskussionen zu unterstützen, darüber zu reden, was sie bedrückt.

Frau Green, herrscht bei Ihnen in der Firma das Matriarchat?

Ja, natürlich. Wir sind egalitär. Darauf lege ich bei meinem Führungsstil sehr großen Wert. Nicht jeder Mann konnte das anfangs akzeptieren. Doch seitdem alle wissen, dass es um eine Sache geht und nicht um Macht, haben sich viele Einstellungen bei meinen Kollegen verändert. Wir haben nun matriarchale Männer in Heidelberg, die die neue Struktur tatsächlich mittlerweile verteidigen. Sie arbeiten gern bei uns. Auch sie empfinden den neuen Spirit als befreiend.

Das wird bei SAS gelebt

Danke für diese offenen Worte, Annette Green!

Wahrscheinlich ist Annette Green mit ihrer Einstellung nicht die einzige, doch diese Frauen werden selten gehört. Umso wichtiger ist es, ihnen eine Stimme zu geben. Gerade wenn wir über Künstliche Intelligenz an sich nachdenken. So werden die Algorithmen vornehmlich von weißen Männern programmiert. Dass diese Algorithmen dann voreingenommen lernen und entscheiden, ist so lange bekannt, wie es die Algorithmen selbst gibt. Und hier ist auch die ethische Implikation von großer Bedeutung, die den Frauen zukommt. Männern fällt das zwar auch auf, aber kaum einer tut etwas dagegen. Nur wenige Ausnahmen nehmen sich die Zeit, ihre eigenen Programmierungen zu überdenken. Warum auch, solange sich keine Lobby bildet, passt es doch – denken sich viele Konzerne. Und weil SAS nicht nur irgendein Softwarekonzern ist, der irgendein Softwareprodukt herstellt, sondern der von der Zurverfügungstellung von KI-Algorithmen lebt, ist es gut, dass sich diese Firma aufgemacht hat, diesen Diskurs zu führen und diesem Missstand auf die Schliche zu kommen.

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