Erfolgsfaktoren von Führung in Zeiten der Digitalen Transformation – Agile Führung bzw. Agile Leadership

Agile Führung

Organisationen und damit deren Führungskräfte sind diesen Zeiten besonders gefordert. Immer neue Technologien und Produkte entwickeln sich, neue Geschäftsmodelle entstehen und Kundenerwartungen verändern sich rasant. Noch nie in der Geschichte hatten Organisationen und Führungskräfte ein vergleichbares Veränderungstempo zu managen.

Was steckt dahinter? Schon 1965 beobachtete Gordon Moore (Mitbegründer von Intel), dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise auf Microchips regelmäßig verdoppelt, also einer exponentiellen Entwicklung folgt. Microchips bilden einen wesentlichen Bestandteil aller elektronischen Geräte, die wiederum ein Herzstück des technologischen Wandels darstellen. Diese Beobachtung wird als Moore‘sches Gesetz bezeichnet und dient als Erklärung für die exponentielle Entwicklungsgeschwindigkeit im Technologiesektor.

In diesem Klima von Disruption, Komplexität und Dynamik sind gerade Führungskräfte besonders gefordert, Orientierung zu geben, Sicherheit zu stiften und eine attraktive Zukunft zu entwickeln. Agile Leadership kann hier hilfreich sein.

Agile Führung in Zeiten der Digitalen Transformation

In einer groß angelegten Studie im Jahr 2017 haben sich CISCO, IMD (International Institute for Management Development in Lausanne) und metaberatung mit der Frage befasst, was jene Führungskräfte gemeinsam haben, die sicher und erfolgreich durch diese Zeiten der Digitalen Transformation steuern. Das Ergebnis wurde in das Modell „Agile Leadership“ übertragen.

Agile Führung
Quelle: Redefining Leadership for a Digital Age, IMD & metaberatung 2017, www.metaberatung.com

Als Ergebnis der Studie zeigen sich zunächst drei Verhaltensweisen für Agile Führung:

Hyperbewusstsein (Hyperawareness) – Außergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit und Interesse in Bezug auf technologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen – über den Tellerrand der eigenen Branche hinweg. War es lange Zeit ausreichend, den unmittelbaren Mitbewerb und Entwicklungen in der eigenen Branche gut im Auge zu halten, zeigen erfolgreiche Führungskräfte in Zeiten der Digitalen Transformation einen „hyper-bewussten“ Blick auch auf andere Bereiche. Dabei sind sie idealerweise auch in der Lage, daraus Schlüsse für das eigene Geschäft zu ziehen. Hyberbewusstsein ermöglicht, frühzeitig zu erkennen, wenn disruptive Entwicklungen aus ganz anderen Richtungen das Geschäft attackieren könnten. Disruptive Entwicklungen entstehen immer häufiger in anderen Branchen und attackieren bewährte Geschäftsmodelle und traditionelle Organisationen. 

Sachkundige Entscheidungsfindung (Informed Decision Making) – Nutzung und Verarbeitung von Daten und Erschließung immer neuer Datenquellen. Besonders erfahrene Manager und Führungskräfte könnten dazu neigen, Entscheidungen mehrheitlich auf Basis ihres Erfahrungswissens zu treffen. In der Digitalen Transformation sind wir aber immer wieder mit gänzlich neuen Situationen konfrontiert, wo es noch keinen ausreichenden Erfahrungsraum gibt. Die kluge Nutzung von vorhandenen Daten und vor allem die Ausweitung und Erschließung von neuen Datenquellen ist wesentliches Erfolgskriterium, um evidenzbasierte Entscheidungen treffen zu können. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Erfahrungen zu entwerten oder auf die erprobte Intuition zu verzichten. Vielmehr geht es darum, sich intensiv und aktiv mit der Beschaffung von entscheidungsrelevantem Datenmaterial aus verschiedenen Quellen zu versorgen und dies als Grundlage für operative und strategische Entscheidungen zu nutzen.

Schnelles Agieren (Executing at Speed) – Schnelle Entscheidungen und ein Zugang, der mehrheitlich Umsetzungsgeschwindigkeit über Qualität stellt. Gerade traditionelle, erfolgreiche Industriebetriebe sind häufig von einem sehr hohen Qualitätsanspruch geprägt. So werden perfekte Produkte entwickelt und Fehler vermieden. In den aktuellen und besonders dynamischen Zeiten legen erfolgreiche Führungskräfte immer häufiger den Schwerpunkt auf schnelle Umsetzung und nehmen dafür bewusst Abstriche bei der Qualität in Kauf. Diesen Ansatz kennen wir bereits aus der Technologie-Start-Up-Szene. Diese geht häufig mit sogenannten MVPs (minimum viable products) auf den Markt. Dabei handelt es sich um die erste funktionsfähige Iteration eines Produkts, die meist noch weit von Perfektion entfernt ist. Danach holt man sich von den Nutzern Rückmeldung und bringt dann rasch die überarbeiteten Produkte heraus.

Ist es wirklich so einfach?

Interessant an diesen drei Leadership-Verhaltensweisen ist, dass sie niemals alle drei gleichzeitig zur selben Zeit verwirklicht werden können. Die Agile Leadership-Verhaltensweisen widersprechen sich in manchen Aspekten. Daher kann nicht eine Person zur gleichen Zeit alle Verhaltensweisen zeigen. So ergeben sich aber auch Risiken, wenn jeweils ein Verhalten unterrepräsentiert ist. Es geht also für Führungskräfte darum, immer wieder eine passende Balance zu finden und die Schwerpunkte im Handeln entsprechend auszurichten. Dabei ist der Studie zufolge zusätzlich zu berücksichtigen, dass es auch individuelle Vorlieben gibt, die das Führungshandeln prägen.

Die eine Führungskraft hat vielleicht ihre Stärken bei Hyperbewusstsein und sachkundiger Entscheidungsfindung, ist aber in puncto schnellen Agierens eher zurückhaltend. Damit geht das Risiko einher, zwar gut fundierte Entscheidungen mit Weitblick zu treffen, aber dabei in der Umsetzung schlicht zu langsam zu sein. Die Studie bezeichnet dieses Risiko als Slow Driving bzw. Langsames Fahren.

Hat eine Führungskraft hingegen ihre Stärken bei der sachkundigen Entscheidungsfindung und beim schnellen Agieren, so entstehen schnelle, datenbasierte Entscheidungen und Umsetzungen, die aber viele Entwicklungen in anderen Bereichen nicht einbeziehen. Man hat damit das Risiko, wesentliche Entwicklungen zu übersehen. Dieses Risiko nennt sich Wrong Direction bzw. Falsche Richtung.

Zeigen sich Stärken in Hyperbewusstsein und schnellem Agieren, so führt dies meist zu mutigen, schnell umgesetzten Projekten. Diese sind aber häufig nicht gut aufgesetzt und wenig fundiert. Hier sehen wir häufig das Risiko von Schnellschüssen und teuren Fehlentscheidungen. Wir sprechen vom Risiko des Careless Driving bzw. des Unachtsamen Fahrens.

Es ist also wichtig für Führungskräfte, die eigenen Verhaltenspräferenzen und blinden Flecken in Bezug auf Agile Führung und damit die Stärken und Risiken zu kennen. Führungsteams sind besonders erfolgreich, wenn sie in Bezug auf diese drei Verhaltensweisen möglichst breit aufgestellt sind. So hat möglicherweise der CIO eine besondere Stärke in Hyperbewusstsein, der Finanzvorstand in der sachkundigen Entscheidungsfindung und der COO im schnellen Agieren. Gelingt es einem Führungsteam, die jeweiligen Verhaltenspräferenzen zu erkennen, zu verstehen und die Vorteile zu kombinieren, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, alle Facetten von Agiler Führung abzudecken und damit gut und sicher durch die dynamischen Zeiten der Digitalen Transformation zu steuern. Ganz praktisch gelingt dies mit ehrlicher Selbsteinschätzung, wertschätzender gegenseitiger Rückmeldung und gemeinsamem Blick auf die Chancen und Risiken.

Dabei lohnt sich auch ein Blick auf das ganze Führungsteam, um zu erkennen, wo es vielleicht immer wieder zu Reibungspunkten kommt. Zum Beispiel: Die Person mit Vorliebe für schnelles Agieren entscheidet schnell, hat kein Problem mit 80%-Lösungen und wird schnell ungeduldig. Die Person mit Präferenz für sachkundige Entscheidungsfindung wird intensiver auf Zahlen, Daten und Fakten schauen, bevor sie eine Entscheidung fällt. Das braucht mehr Zeit. Die beiden Personen werden vielleicht im operativen Alltag immer wieder Meinungsverschiedenheiten haben. Mit Kenntnis der Stärken und Präferenzen sollte ein konstruktiver Umgang leichter gelingen.

Gleichzeitig kann ich auch erkennen, welches Verhalten vielleicht insgesamt im Team unterrepräsentiert ist und uns ein Risiko in der Gesamtsteuerung eröffnet.

Worauf es noch ankommt

Ergänzend zu den Verhaltensweisen zeigt die Studie noch vier Kompetenzen für Agile Führung, die für Führungskräfte in dynamischen und disruptiven Zeiten erfolgskritisch sind. Kompetenzen gehen tiefer als Verhaltensweisen und berühren schon unsere Überzeugungen und Werte. Daher sind sie nicht so leicht änder- und anpassbar wie Verhalten.

Bescheiden (Humble): Führungskräfte haben nicht mehr den Anspruch, selbst allein die Lösung zu finden bzw. auf jedes Problem die einzig richtige Antwort zu haben. Bescheidene Führungskräfte im Sinne der Studie anerkennen und schätzen es, dass sie Kollegen und Mitarbeiter haben, die mehr wissen und mehr können als sie selbst. Sie fordern offene Rückmeldung ein und nehmen diese auch ernst.

Anpassungsfähig (Adaptable): Gerade in so dynamischen Zeiten ist flexibler Umgang mit Entscheidungen wesentlich. Anpassungsfähige Führungskräfte überprüfen Entscheidungen regelmäßig kritisch und sehen es nicht als Schwäche, getroffene Entscheidungen wieder rückgängig zu machen, weil sich die Informationslage verändert hat.

Visionär (Visionary): Visionäre Führungskräfte können auch in Zeiten hoher Unsicherheit langfristige Ideen und Visionen entwickeln und diese glaubwürdig kommunizieren. Dabei geht es darum, die Zunftsbilder attraktiv und verständlich zu beschreiben, dass Orientierung uns Sicherheit in Bezug auf die Zukunftsausrichtung in der Organisation entsteht.

Engagiert (Engaged): Engagierte Führungskräfte im Sinne der Studie sind natürlich mit Feuer und Flamme bei der Sache. Hinter dieser Kompetenz verbirgt sich auch noch, dass diese Führungskräfte mit ernsthaftem Interesse intensiven Austausch mit internen und externen Stakeholdern pflegen. „Being in a constant mode of listening“, zeichnet jene Manager aus, die sich mit großer Neugier in Bezug auf „emerging trends“ mit Informationen versorgen.

Fazit

Die digitale Transformation fordert Führungskräfte besonders. Das Modell der Agilen Führung zeigt, welche Verhaltensweisen und Kompetenzen für Führungskräfte in Zeiten der Digitalen Transformation besonders wichtig und erfolgskritisch sind. Ein ehrlicher Blick auf die eigenen Verhaltensweisen und Kompetenzen, sowie offener Austausch und ständige Kommunikation darüber im Führungsteam sind unabdingbar, um Organisationen gut durch besonders dynamische und disruptive Zeiten zu steuern.

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Dr. Nina Haas

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Mit agiler Führung zur dynamischen und robusten Organisation

Leadership

Covid-19 ist ein Elchtest für die meisten Unternehmen. Manche gehen gestärkt aus dem Härtetest hervor, andere erweisen sich als wenig anpassungsfähig. Erfahrungsgemäß sind agil geführte Organisationen krisenfester als streng hierarchisch geführte. Charakteristisch für agile Organisationen: sie reagieren schnell auf Veränderungen in einem komplexen Umfeld, sind robust und anpassungsfähig. Damit das möglich wird, muss einiges anders laufen als in der traditionellen Organisation. Worauf können Organisationen in Krisenzeiten, z.B. während der Corona-Krise, bauen?

Wir haben uns umgehört, wie Unternehmen auf die veränderte Marktlage reagieren, ihr Geschäft weiter vorantreiben oder ihre Produkte und Dienstleistungen rasch anpassen, hohe Qualität gewährleisten und ihre Marktanteile erhalten. Wie können Teams in einem Kontext von teils digitalem, teils analogem Arbeiten effektiv und effizient zusammenarbeiten?

Agile Organisationsentwicklung

Wir führten Gespräche mit Führungskräften sowie Expertinnen und Experten aus fünf Konzernen. Unsere Gespräche drehten sich um Erfahrungen in und mit der Krise in einem DAX-Industriekonzern, einem internationalen Technologieunternehmen, einem Anbieter von Sportwetten, der IT-Tochter eines der weltweit größten Finanzdienstleisters und einem Konzern aus der Baubranche. In den Gesprächen ging es vorrangig um persönliche Erfahrungen und Beobachtungen, nicht um die offizielle Kommunikation der Unternehmen. Nur eines der Unternehmen hat eine agile DNA, die anderen befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Transformation hin zu einem dynamischen und robusten Unternehmen.

Den Schock angemessen verarbeiten

Für jedes der fünf Unternehmen war die Corona-Krise ein Schock. Der Stress einer völlig neuartigen Krisensituation musste verarbeitet werden. Dazu kamen Sorgen um Marktanteile, höhere Arbeitsbelastung durch die notwendigen Maßnahmen wie Kurzarbeit, Social Distancing, Homeoffice und Vorkehrungen für Gesundheit und Sicherheit der Belegschaft. Eine Gesprächspartnerin berichtete, dass ihr Abteilungsleiter mehrmals betonte: „Es ist kein Wunder, wenn die Krise euch belastet. Das ist zu erwarten und okay.“

Agil geführte Unternehmen sind in der Krise stabiler

In allen Gesprächen wurde deutlich, dass es drei grundlegende Aspekte von agiler Führung (Agile Leadership) und Selbstorganisation waren, die diesen Organisationen in der Krise geholfen haben:

  • Es war vor allem wichtig, das Vertrauen und die Bedürfnisse nach Sicherheit und Orientierung zu befriedigen.
  • Klare und transparente Kommunikation hilft, die Verbindung zu den Beschäftigten selbst unter widrigen Umständen aufrechtzuerhalten.
  • Und das Prinzip der möglichst weitreichenden Delegation von Verantwortung und Autonomie muss auch während der Krise durchgehalten werden.

Eine Stimme aus dem Krisenstab eines internationalen Technologieunternehmens thematisierte die Angst vor einer zweiten Welle: „Das erste Mal war es ja noch ganz aufregend, mehrere tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Heimarbeit zu schicken und auch unsere IT-Infrastruktur hat super funktioniert. Wenn aber eine zweite Covid-19-Welle kommt, wird es psychisch anstrengend für alle. Wir brauchen dafür andere Strukturen und Kollaborationsmodelle, um weiterhin arbeitsfähig zu sein.“ Der Krisenstab ahnt schon, dass eine längere Zeit einschneidender behördlichen Maßnahmen bevorsteht.  

Vertrauen und Sicherheit stärken

Eine agil denkende und handelnde Führungskraft hat Vertrauen in das eigene Team. Sie sorgt für ideale Rahmenbedingungen, damit die Teammitglieder gut arbeiten können und mit ihren Sorgen und Ängsten nicht alleingelassen werden. In Krisenzeiten muss das auch virtuell gehen. Wer bereits eine Vertrauenskultur aufgebaut hat, kann jetzt die Früchte seiner Arbeit ernten. Ein Abteilungsleiter initiierte wöchentliche virtuelle Teammeetings für alle 105 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über den Globus verstreut arbeiten. Dort erzählt er davon, was im Konzern gerade passiert, was das Board plant und tut. Unsere Gesprächspartnerin nannte das: „aktiv den Flurfunk ersetzen“. Da gibt es viel zu hören, aber auch ausreichend Gelegenheit, gehört zu werden. Und stets Kommunikation auf Augenhöhe. Unsere Gesprächspartnerin meint, dass der Umgang mit der Krise den Zusammenhalt des Teams deutlich gestärkt hat.

Agile Organisationsentwicklung

Ein Teamleiter aus der Baubranche berichtete, dass die eng getakteten internen Informationen in den ersten Wochen der Krise selbst Themen wie Überlegungen zur Kurzarbeit oder Verhandlungsergebnisse mit Behörden umfassten. Normalerweise werden solche Informationen nicht so transparent kommuniziert.

Unterschiedliche virtuelle Meeting-Formate decken die Bedürfnisse der Beschäftigten ab. Vertraute Routinen wie etwa Check-In und Check-Out machen es allen im Team möglich, persönliche, berufliche und existenzielle Stressfaktoren zu thematisieren. Dann können die anderen Rücksicht nehmen oder Unterstützung anbieten, es stehen keine weißen Elefanten im Raum. All das ist in einer agilen Führungskultur selbstverständlich und in Extremsituationen besonders wichtig. Jetzt in der Krise zeigt sich, wie wertvoll das achtsame Umgehen miteinander ist.

Aus mehreren Organisation haben wir gehört, dass auf individuelle Bedürfnisse spürbar Rücksicht genommen wurde. Die Mehrbelastung, die sich aus der Betreuung kleiner Kinder ergibt, wurde durch das gezielte Vermeiden hoher Arbeitsbelastung und enger Fristen gemildert. Alleinlebende bekamen besondere Aufmerksamkeit. In der IT-Abteilung eines sehr großen Finanzdienstleisters ist auch das Ausmaß der Arbeitsbelastung jedes Mal Thema. Im Homeoffice zu arbeiten heißt, besonders gut auf die Abgrenzung zwischen der beruflichen und der privaten Sphäre zu achten. In virtuellen Meetings sind Kinder und Haustiere trotzdem willkommen. Das sind kleine Gesten, erzielen aber große Wirkung bei den Betroffenen. Sie stärken eine mitarbeiterorientierte Kultur des Vertrauens und der Fürsorge füreinander und geben Sicherheit.

Klar und transparent kommunizieren

Die interne Kommunikation hat in jedem Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Sie erfolgte schnell, klar und transparent. In einem Konzern wendet sich der Vorstand wöchentlich in einem virtuellen Townhall-Meeting an die gesamte Belegschaft. Nach 20 Minuten Input über die wichtigsten Entwicklungen folgen 40 Minuten Antworten auf anonym gestellte Fragen. Die Reihung der Fragen erfolgt auf menti.com. Je mehr Interesse für eine Frage bekundet wird, desto höher wird sie gereiht. Der Vorstand stellt sich allen, auch den unangenehmen, Fragen so lange, wie die Zeit dafür reicht.

Auch auf informelle Kommunikationsformate wird geachtet. Eine Expertin beschreibt das so: „Unser Bereichsleiter, aber auch die Teams selbst haben sich überlegt, was die soziale Funktion von Ritualen im Berufsalltag wie z.B. Kaffeepausen ist und wie sie auch online funktionieren können. Es gibt jetzt virtuelle Kaffeepausen in kleinen Teams, wo es nicht um die Arbeit geht.“ Der größte Nutzen davon: Die Mitglieder des Teams pflegen ihre sozialen Kontakte und sind füreinander da.

Ein weniger gutes Beispiel ist die Videoansprache an alle Beschäftigten eines DAX-Industriekonzerns zu Beginn der Krise. Die Botschaft des Aufsichtsratsvorsitzenden: Jetzt ist Disziplin gefragt und dieses disziplinierte Verhalten wird das Unternehmen durch die Krise bringen. Typisch Befehl und Kontrolle. Bei vielen solcherart Angesprochenen hat er damit große Irritation ausgelöst. Wie soll mit Disziplin angemessen auf den Einbruch der Verkaufszahlen, also eine völlig veränderte Marktsituation, reagiert werden? Kein gutes Beispiel im Sinne von agiler Führung (Agile Leadership), jedoch ein gutes dafür, wie die Organisation weiter erstarrt und Anpassungsfähigkeit unmöglich macht. Hier zeigt sich, dass das Top-Management in ein längst überwunden geglaubtes Managementverhalten zurückfällt, sobald die Organisation unter Druck gerät. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren vor allem davon enttäuscht. Kein guter Auftakt zur erfolgreichen Bewältigung einer großen Krise.

Autonomes und verantwortliches Handeln ermöglichen und erwarten

Zu den Kunden eines Unternehmens, das Statistiken für die Sportwetten-Industrie aufbereitet, zählen alle großen Sportwetten-Anbieter der Welt. Die Krise war ein Schock: keine Sportveranstaltungen, keine Statistiken. Der Markt brach binnen kürzester Zeit völlig zusammen. An virtuelle Zusammenarbeit war das Unternehmen schon gewöhnt. Neue Produkte virtuell und in Heimarbeit zu entwickeln, war allerdings eine Novität: von der Bedarfsanalyse, Ideenfindung über den Prototypen und Kundeneinbindung bis hin zu einem MVP (minimal viable product bzw. minimal tragfähiges Produkt), das live ging und sofort reißenden Absatz fand. Die Vertrautheit mit Agiler Führung war ein erheblicher Vorteil. Die Frage, was Kunden in der veränderten Situation brauchen, war für alle Beteiligten selbstverständlich und damit auch die direkte Einbindung der Kunden in den Entwicklungsprozess. Das neue Produkt: simulierte Sportveranstaltungen, auf die gewettet werden kann. Die rasche Entwicklung sicherte dem Unternehmen nicht nur Kundenbindung und Umsatz, sondern den ersten Platz in seinem Marktsegment. Der Konkurrenz ist es nicht gelungen, ein vergleichbares Produkt auf den Markt zu bringen.

Das Entwicklungsteam ist mit Fug und Recht stolz auf seine Leistung. Anerkennung gebührt aber auch den involvierten Führungskräften, die sich in diesem Unternehmen als Coaches ihrer Teams verstehen. Sie haben dazu beigetragen, dass die Teams den Schock schnell überwanden und sehr rasch wieder handlungsfähig wurden.

Der DAX-Industriekonzern reagierte ganz anders. Alle auf Innovation abzielenden Projekte und alle Investitionen wurden gestoppt, das Unternehmen steht voll auf der Kostenbremse. Schon seit einigen Jahren setzt die Mobilitätskrise der erfolgsverwöhnten Organisation zu, jetzt kam noch Covid-19 dazu. Das ist offensichtlich zu viel der Krise.

In der IT-Tochter des Finanzdienstleisters stellte der Bereichsleiter schon sehr bald die Frage nach den Lerneffekten, die die Krise mit sich bringt. Was sich bewährt hat, wird auch nach dem Ende des Ausnahmezustands beibehalten werden.

Fazit: je agiler, desto krisenfester

In drei Gesprächen wurde deutlich, dass der Lockdown zwar wie eine Bombe einschlug, die Konzerne aber binnen kürzester Zeit neue Routinen entwickelt hatten und die negativen Auswirkungen auf die Produktivität gering waren. Ziemlich schnell liefen alle Prozesse weiter, nur eben anders als vor dem Lockdown. In einer der beiden anderen Organisationen war man vom Sportsgeist der Belegschaft beeindruckt, dennoch steigt die Angst vor einer möglichen zweiten Welle. Dort wird agiles Führungsverhalten tendenziell noch als fakultative Eigenschaft von Führungskräften betrachtet. HR hat die Chance genützt, die Vorteile von agiler Führung herauszustreichen. Noch dramatischer ist die Situation im Falle des DAX-Industriekonzerns. Er hat die Bemühungen von unten, agile Führung und Selbstorganisation einzuführen, in Schönwetterzeiten wohlwollend geduldet, aber nie ganz ernst genommen. Jetzt, in der doppelten Krise, können sie auch nicht als Ressourcen gesehen werden.

Agile Führung und Selbstorganisation weisen Führungskräften eine coachende Rolle zu. Das Team soll befähigt werden, exzellente Leistungen zu erbringen. Der wichtigste Beitrag der agilen Führungskraft: Sie stellt sicher, dass das Big Picture, also die Rahmenbedingungen, und der Sinn und Zweck klar sind. Die agile Führungskraft sorgt für Rollenklarheit bei allen Beteiligten. Sie ist auch dafür verantwortlich, dass alle Rollen mit jenen Personen besetzt werden, die sich am besten für die Aufgabe oder die Verantwortung der jeweiligen Rolle eignen. Die fachliche Verantwortung liegt ausschließlich beim Rolleninhaber und damit bei der Person, die sich am besten mit der Aufgabe auskennt. Im Rahmen seiner Rolle trägt jedes Team-Mitglied Führungsverantwortung und trifft Entscheidungen. Eine weitere wichtige Funktion des Teamleaders: Er erkennt Hindernisse, die das Team belasten und bremsen, schafft sie aus der Welt und unterstützt sein Team dadurch, beste Ergebnisse zu liefern.

Agile Führung sorgt auch dafür, dass die Strukturen der Organisation agil sind und bleiben. Nur eine agile Organisation ermöglicht agiles Arbeiten wie z.B. explorative Vorgehensweisen, Lernen, Selbststeuerung und Selbstorganisation. Dafür gibt es zahlreiche Methoden und Instrumente. Eine agile Organisation entsteht allerdings nicht einfach dadurch, dass Projekte mit Scrum oder im Rahmen skalierter, agiler Frameworks durchgeführt werden.

Wir haben gesehen, dass Unternehmen, die die erste Welle von Covid-19 gut überstanden haben, sich auch vor einer möglichen zweiten nicht fürchten. Im Gegenteil: Sie gehen gestärkt aus dem Elchtest hervor. Was machen diese Unternehmen anders? Sie profitieren von ihrer agilen Führungskultur. Sie haben in den letzten Jahren auf die komplexer werdenden Marktbedingungen mit einer Transformation zu agiler Führung und agilen Organisationsstrukturen reagiert. Natürlich war der Lockdown für alle Unternehmen eine ernstzunehmende Krise.

Covid-19 zeigt ihnen, wie anpassungsfähig und robust ihre Organisation in Krisenzeiten ist.

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Tom Strasser-Neuhofer

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