Edge Computing in der Industrie – aus Big Data wird Smart Data

Edge Computing

Bei Edge Computing werden die Daten im Gegensatz zum Cloud Computing dort verarbeitet, wo sie entstehen: direkt bei den Maschinen, direkt in der Fabrik. Die Daten verlassen nicht die Fabrik und die Reaktionszeit ist viel schneller. Mit Edge Computing können auch kleinere Unternehmen weltweit kostengünstig Dienstleistungen erbringen und neue Geschäftsmodelle umsetzen. Das sogenannte Edge Management macht den Unterschied.

Unter Cloud Computing versteht man eine Computer-Leistung, die über das Internet Berechtigten zugänglich gemacht wird. Diese wird im Gegensatz zu Edge Computing in einem Rechenzentrum bereitgestellt. Die Kombination von Edge Computing und Cloud Computing nutzt die Vorteile aus beiden Welten.

Besuchen Sie die Pilotfabrik Industrie 4.0 in Wien oder die smartfactory@tugraz um Edge-Computing live zu erleben!

Stellen wir uns vor, ich bin Maschinenbauer und verkaufe meine Maschinen weltweit. Ich möchte meinen Kunden zusätzlich zum gewohnten Einmal-Geschäft mit Maschinen, ein Dienstleistungs-Abo anbieten. Eine Dienstleistung, die dem Kunden finanzielle und produktionstechnische Vorteile bringt und die ich als Unternehmer global und kostengünstig liefern kann.

Meine Kunden möchten ungeplante Stillstände von Maschinen vermeiden. Daher müssen sie Ersatzteile rechtzeitig austauschen. Der Hinweis auf einen notwendigen Austausch sollte vor einem potenziellen Ausfall erfolgen. Noch besser: Ich biete dem Kunden eine auf seine Maschine abgestimmten Wartungsplanung inklusive rechtzeitiger Ersatzteilbestellung an.

Man nennt das eine vorausschauende Instandhaltung (Englisch: Predictive Maintenance).

Die Geschäftsidee ist nun vorhanden.

Besuchen Sie die Pilotfabrik Industrie 4.0 in Wien oder die smartfactory@tugraz um Edge-Computing live zu erleben!

Wozu Edge Computing?

Wozu aber benötige ich Edge Computing? Ich könnte doch alle Daten meiner Maschine in eine zentrale „Cloud“ schicken. Dort könnte ich die Schlussfolgerung für meinen Kunden berechnen und aufbereiten. Aber nicht bei meinen Kunden:

Schnellere Datenverarbeitung

Um den Alterungszustand meiner Maschinenersatzteile zuverlässig zu beurteilen, benötige ich in meinem Beispiel 1.000 Messwerte pro Sekunde bei 6 Messgrößen. Dafür sind industrielle Cloud-Anbindungen entweder technisch nicht geeignet oder es würde zu hohe Kosten verursachen.

Daten verlassen nicht das Fabriksgebäude

Meine Kunden haben viel Know-How über ihre jeweilige Fertigung. Wie die Kunden mit meinen Maschinen ihre Produkte herstellen, ist deren Firmengeheimnis. Die gewonnenen Daten enthalten meist vertrauliche Informationen. Deshalb lassen meine Kunden nicht zu, dass diese Daten ihr Fabriksgebäude verlassen.

Mit Edge Computing kann ich beiden Anforderungen gerecht werden:

Die Edge-Box verarbeitet die Daten in Maschinennähe

Ich verbinde die Steuerung meiner Maschinen direkt mit einer lokalen Edge-Box. Diese Edge-Box ist ein sehr robuster Computer, der direkt neben der Maschine im Schaltschrank verbaut ist. Dieser stellt mir die erforderliche Rechenleistung zur Verfügung. Die Datenübertragungswege sind sehr kurz. Dadurch wird es möglich, in Echtzeit auch mehr als 6.000 Datenwerte pro Sekunde in die Edge-Box zu übertragen. Dort erfolgt dann die Berechnung über den Zustand der Maschinenersatzteile. Nur das ermittelte Ergebnis wird von allen meinen weltweit verteilten Kunden in die Cloud hochgeladen. Das enthält auch keine Firmengeheimnisse mehr. In meinem Fall reicht es, wenn der Maschinenzustand einmal pro Minute in die Cloud übertragen wird. Also nur ein einziger smarter Wert pro Minute anstatt 6 ∙ 1.000 ∙ 60 = 360.000 Werte in 60 Sekunden. Dieser Ergebniswert reicht mir, um meine Instandhaltungsempfehlung an den Kunden zu berechnen. Er reicht auch für mich selbst, um Verbesserungen für die Konstruktion meiner Maschine abzuleiten.

Ein anderer Anwendungsfall: Ein Werkzeugbruch passiert in Bruchteilen von einer Sekunde. Mit Künstlichen Intelligenz-Methoden wird die Anomalie erkannt, bevor das Werkzeug bricht. Kommen Sie in die smartfactory@tugraz und lassen Sie sich den Forschungsdemonstrator vorführen.

So wird Big Data zu Smart Data.

Klingt so, als wäre das alles nicht neu. Schon heute kann jede Maschinensteuerung selbst Berechnungen durchführen. Wozu also die zusätzliche Edge-Box?

Maschinensteuerungen sind darauf ausgerichtet, ihre Maschinensteuerungsaufgabe verlässlich in fixen zeitlichen Intervallen (z.B. 8.000 Mal pro Sekunde) zu erledigen. Diese Tätigkeit ist lebensnotwendig für den Betrieb der Maschine. Zusätzliche Aufgaben dürfen sie daher keinesfalls stören. Eine Edge-Box kann hochkomplexe Berechnungen durchführen, ohne die Maschinensteuerung zu belasten oder zu stören. Sogar Künstliche Intelligenz Algorithmen können auf der Edge-Box laufen.

„Container“ sind voneinander unabhängig

OK, aber man konnte doch schon immer einen Computer neben die Maschine stellen und dort alles berechnen. Was ist neu an Edge Computing?

Das Besondere an Edge Computing ist ein neues Software-Architektur-Konzept für das Internet der Dinge (Internet of Things, kurz: IoT) bzw. das Industrielle Internet der Dinge (Industrial Internet of Things, kurz IIoT).

Edge Computing nutzt das Konzept der Containerisierung: die Software wird in sogenannte Container eingearbeitet. Dieselbe Software ist dadurch auf ganz unterschiedlichen Computersystemen einsetzbar. Beispielsweise also sowohl in der Cloud als auch in der Edge-Box. Das ist ähnlich wie bei Fracht-Containern. Derselbe Container kann per Schiff, per Bahn und per Lastwagen transportiert werden.

Und noch wichtiger: die Container sind voneinander unabhängig. Man nennt das Dependency-Management. Auch beim Fracht-Container gilt: verdirbt die Ware in einem Container wird dadurch die Ware in anderen Containern nicht beschädigt.

Zurück zur Geschäftsidee:

Edge Management sorgt für die richtige App am richtigen Ort

Nun bestellt einer meiner Kunden eine neue IT-Dienstleistung für vorausschauende Instandhaltung. Der Kunde benötigt auf seiner Edge-Box die richtige Software. Letztere nennt man Edge-App. Ebenso müssen meine Kunden Upgrades auf eine neue Version erhalten. Die Installation der Software-Updates erfolgt zu 100 Prozent digital.
Diese sichere und zuverlässige Verteilung der richtigen Software auf die richtigen Edge-Boxen ist die Aufgabe vom sogenannten Edge Management. Ohne Containerisierung der Software wäre das kaum denkbar.

Edge Computing ermöglicht eine höhere Prozess-Qualität und eine höhere Maschinen-Verfügbarkeit

Eine industrielle Edge-Lösung (z.B. Siemens Industrial Edge) stellt 24/7-Verfügbarkeit, IT-Sicherheit, Datenschutzverträge in unterschiedlichen Ländern und vieles andere sicher. Mit ihr kann ich das Edge Management für meine Kunden weltweit anbieten und betreiben. Dadurch muss ich mich selbst nicht vor Ort um all die Dinge kümmern. In meinem Maschinenbau-Unternehmen hätte ich auch gar nicht die notwenigen Spezialisten und Ressourcen zur Verfügung.

Warum nennt man es Edge Computing?

Edge ist das englische Wort für Kante oder Rand. Die Rechenleistung wandert im Gegensatz zum zentralen Cloud Computing zum dezentralen Rand des Netzes. Der Rand vom Netz ist der Teil, wo die Rohdaten entstehen. In meinem Fall sind das die verkauften Maschinen. Gleich dort in Maschinennähe werden die Daten analysiert und verarbeitet.

Fazit: auch kleine Unternehmen können globale Services anbieten

Bei Edge Computing werden die Daten gleich dort verarbeitet, wo sie entstehen. Nur die Ergebnisse werden weitergeleitet. Durch das Edge Management steht beim richtigen Kunden die richtige Software auf der richtigen Edge-Box zur Verfügung. Das ermöglicht auch kleinen Unternehmen rund um den Globus professionell Dienstleistungen anzubieten, wie etwa die Optimierung des Ersatzteil- und Wartungsmanagements.

So wird Big Data zu Smart Data. Dennoch bleiben sensible Daten im Fabriksgebäude des Kunden.

Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Informieren Sie sich auch über unsere Tagungen zu den folgenden Themen:

Prof. DI. Dr. Michael Heiss

Prof. DI. Dr. Michael Heiss

Logo Siemems

Internet of Things (IoT) – Das Internet der Dinge

Internet der Dinge

“If you think that the internet has changed your life, think again. The Internet of Things is about to change it all over again!” Dieses Zitat stammt vom Chefarchitekten und Mitbegründer von Aria Systems, Brendan O’Brien. Es bringt die Zukunft der Vernetzung von Menschen und Maschinen auf den Punkt und erklärt den Hype rund um das Internet der Dinge.

Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) weckt große Hoffnungen und tiefe Ängste: Zahlreiche neue Geschäftsmodelle werden durch das Internet der Dinge möglich. Aber auch die Frage „Erobern jetzt die Maschinen die Welt?“ treibt die Menschen um. Das Internet der Dinge verändert unser tägliches Leben, unsere Häuser und Arbeitsplätze.

Dieser Beitrag zeigt die Herausforderungen für Unternehmen beim Einsatz von IoT und wie sie mit der Vernetzung von Produkten einen Mehrwert schaffen können.

Was ist das Internet der Dinge?

Der Begriff „Internet der Dinge“ (Internet of Things, IoT) bezeichnet also die Vernetzung von „Dingen“ (Machine-to-Machine, M2M) mit dem Internet und deren technische Identifikation über eine eindeutige IP-Adresse (Internet Protocol). Hierbei ist der Begriff der „Dinge“ sehr weit gefasst. Er kann z.B. Produkte, Maschinen, Systeme, Sensoren, Implantate und Gadgets umfassen. Indem der Mensch die Funktionen beispielsweise über eine App steuert, entsteht auch eine Vernetzung zwischen Mensch und Maschine.

Internet der Dinge

Ein gutes Beispiel für IoT bzw. die Vernetzung unterschiedlicher Produkte ist Smart Home. Internetfähige Thermostate, Türklingeln, Rauchmelder und Sicherheitsalarme bilden einen angeschlossenen Hub. In diesem werden Daten zwischen physischen Geräten ausgetauscht und die Benutzer können die „Dinge“ in diesem Hub über eine mobile App oder Website fernsteuern (D.h. etwa Temperatureinstellungen anpassen, Türen entriegeln usw.)

Ziel von IoT ist es, Daten zu erfassen und zu analysieren, über IP-Technologien, Plattformen und Konnektivitätslösungen zu verteilen und zu kommunizieren. So entsteht ein Mehrwert in Form von z.B. erhöhter Effizienz, Produktivität oder Sicherheit.

Wie funktioniert das Internet der Dinge?

Es gibt vier Hauptkomponenten des IoT-Ökosystems:

1. Sensoren/ Vorrichtungen

In den IoT-fähigen Produkten und Maschinen sind Sensoren eingebaut, die Daten zur späteren Nutzung sammeln. Ein Beispiel hierfür ist unser Mobiltelefon, ein Produkt mit eingebauten Sensoren wie GPS, Kamera usw. Doch auch bei jedem anderen Produkt werden Daten aus der Umgebung gesammelt.

2. Konnektivität

Sobald die Daten gesammelt sind, werden sie an die Cloud-Infrastruktur (auch als IoT-Plattformen bekannt) übertragen. Dafür benötigen die Geräte ein Medium, wie beispielsweise Bluetooth, Wi-Fi, WAN oder Mobilfunknetze. Die Verbindungstypen sind alle unterschiedlich und müssen gezielt ausgewählt werden, um die besten Ergebnisse zu erzielen.

3. Datenverarbeitung

Nach der Verbindung mit der Cloud-Infrastruktur müssen die Daten analysiert werden, damit die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können.

Große Datenmengen („Big Data“), die von angeschlossenen Geräten gesammelt werden, können im Echtzeitbetrieb genutzt werden. Temperaturmessungen zu Hause oder im Büro, Verfolgung körperlicher Aktivitäten (Schritte zählen, Bewegungen überwachen) und vieles mehr. Die Echtzeit-Überwachung wird im Gesundheitswesen stark genutzt (z.B. zur Messung der Herzfrequenz, des Blutdrucks, des Zuckerspiegels). Sie wird auch erfolgreich in der Fertigung (zur Steuerung von Produktionsmaschinen), in der Landwirtschaft (zur Überwachung von Vieh und Pflanzen) und in anderen Branchen eingesetzt.

4. Benutzerschnittstelle

Der letzte Schritt besteht darin, die Informationen für den Benutzer aufzubereiten. Dies kann z.B. eine Benachrichtigung oder ein Alarm an den Benutzer über eine mobile IoT-App sein. Beispielsweise können Landwirte mit einer App die Feldbedingungen einfach überwachen, ohne überhaupt aufs Feld gehen zu müssen, da verschiedene Sensoren für das Boden-, Wasser-, Licht- und Temperaturmanagement eingesetzt werden.

Warum ist Internet of Things so bedeutend?

Der Markt für das Internet der Dinge wächst rasant: So stand er im Jahr 2019 bei 335,55 Milliarden Dollar und er wird bis 2027 voraussichtlich 1.769,39 Milliarden Dollar erreichen. Somit wird er im Prognosezeitraum 2019-2027 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 23,1 % wachsen.

Die zunehmende Verwendung drahtloser intelligenter Sensoren, die wachsende Verbreitung von Cloud-Plattformen und die steigende Durchdringung der Internet-Konnektivität treiben das Marktwachstum weiter an.

Außerdem hat das Internet der Dinge das Potenzial, zahlreiche Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit, Geschäftsabläufe, industrielle Leistung und globale Umwelt- und humanitäre Fragen zu erzielen. Dies zeigt ein Beispiel zu Smart Farming anschaulich.

Wie das Internet der Dinge einen Mehrwert für Unternehmen schafft

Die Kommunikation zwischen Objekten aller Art (z.B. Machine-to-Machine / M2M) hat die Industrie und unser Privatleben massiv verändert. Dies wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen und schafft dadurch zahlreiche neue Geschäftsfelder.

Eine IoT Analytics Untersuchung der wichtigsten IoT-Anwendungsbereiche im Jahr 2020 zeigt, dass von den 1.414 identifizierten IoT-Projekten ca. 22% im Bereich des verarbeitenden Gewerbes/der Industrie stattfinden, gefolgt von Verkehr/Mobilität (15%) und Energie (14%).

Unternehmen können die über das Internet of Things gewonnenen Daten nutzen, um etwa die Customer Journey, die Anforderungen der Verbraucher, mögliche Verbesserungen und innovative Erfindungen sowie Methoden für Werbung und Marketing zu untersuchen. Diese Daten können mit Hilfe der IoT-Technologie effektiv gesammelt, ausgetauscht und interpretiert werden.

Mit diesen Informationen über Verbraucher und Markt kann die Produktivität eines Unternehmens erheblich gesteigert und durch miteinander verbundene IoT-Geräte die Effizienz verbessert werden. Zudem können Unternehmen die umfangreichen Informationen auch für Innovationen nutzen und potenziell in neue Märkte einsteigen, neue Kundensegmente ansprechen und neue Einnahmequellen schaffen.

Viele Industriezweige nutzen das Internet of Things um

  • die Bedürfnisse der Verbraucher besser zu verstehen,
  • reaktionsfähiger zu werden,
  • die Qualität von Maschinen und Systemen während des Betriebs zu verbessern,
  • Abläufe zu rationalisieren und
  • innovative Wege zu entdecken, um die digitale Transformation

Die meisten Investitionen und IoT-Anwendungen betreffen dabei das industrielle Internet der Dinge (Industrial Internet of Things, IIoT). Man versteht darunter das Internet der Dinge im industriellen Umfeld. Im Gegensatz zum IoT stehen nicht die Verbraucher und Anwender im Mittelpunkt der Konzepte, sondern industrielle Prozesse und Abläufe.

Ziele des IIoT sind

  • die Verbesserung der betrieblichen Effizienz,
  • Kostensenkungen in der Produktion,
  • schnellere Prozesse und
  • die Realisierung neuer Geschäftsmodelle.

Das IIoT ist in vielen verschiedenen Bereichen der Industrie einsetzbar. Dies können beispielsweise produzierende Betriebe, Logistikunternehmen, die Agrarwirtschaft, die Energieversorgung oder das medizinische Umfeld sein.

Der Grundgedanke hinter dem Industrial Internet of Things ist, dass smarte Maschinen schneller, exakter, kostengünstiger und effizienter arbeiten als der Mensch.

Praxisbeispiele aus unterschiedlichen Branchen

Energie

Die Energiebranche befindet sich in einem massiven Wandel. Zusammen mit Solar-, Wind-, Speicher- und anderen Technologien trägt das Internet der Dinge dazu bei, diesen Wandel voranzutreiben. IoT revolutioniert fast jeden Bereich der Energiebranche: Von der Erzeugung über die Übertragung bis hin zur Verteilung der Energie. Zudem verändert es die Art und Weise, wie Energieunternehmen und Kunden interagieren.

Sensoren können auch zur Verbesserung der Sicherheit beitragen. So können mit dem Internet verbundene Sensoren bei Pipelines Lecks aufspüren, und damit Brände oder Explosionen verhindern. Ein intelligentes Stromnetz nutzt die IoT-Technologie, um Veränderungen bei Stromangebot und -nachfrage zu erkennen. Es kann autonom auf diese Veränderungen reagieren oder den Betreibern die Informationen zur Verfügung stellen, die sie für ein präziseres Nachfragemanagement benötigen.

Zum Beispiel ermöglicht der Einsatz von IoT-Sensoren in allen Phasen der Energieerzeugung den Unternehmen eine Fernüberwachung. Die Sensoren messen Parameter wie Vibration, Temperatur und Verschleiß, um Wartungspläne zu optimieren. Dieser präventive Wartungsansatz kann die Zuverlässigkeit der Maschinen erheblich verbessern, indem sie optimal überwacht werden und Reparaturen durchgeführt werden können, bevor die Maschinen ausfallen.

 

Sensoren können auch zur Verbesserung der Sicherheit beitragen. So können mit dem Internet verbundene Sensoren bei Pipelines Lecks aufspüren, und damit Brände oder Explosionen verhindern. Ein intelligentes Stromnetz nutzt die IoT-Technologie, um Veränderungen bei Stromangebot und -nachfrage zu erkennen. Es kann autonom auf diese Veränderungen reagieren oder den Betreibern die Informationen zur Verfügung stellen, die sie für ein präziseres Nachfragemanagement benötigen.

Durch Internet oft Things kann auch eine verbesserte Netzverwaltung erreicht werden. Die Platzierung von Sensoren in Umspannwerken und entlang von Verteilungsleitungen liefert Echtzeit-Daten zum Stromverbrauch. Diese können Energieunternehmen nutzen, um Entscheidungen über Spannungssteuerung, Lastschaltung, Netzkonfiguration und mehr zu treffen. Einige dieser Entscheidungen können automatisiert werden.

Am Netz befindliche Sensoren können die Betreiber auf Ausfälle aufmerksam machen. Dadurch können sie den Strom zu beschädigten Leitungen abschalten, um Stromschläge, Waldbrände und andere Gefahren zu verhindern. Intelligente Schalter können Problembereiche automatisch isolieren und den Strom umleiten, um die Lichter früher wieder einzuschalten.

Luftfahrt

Das Internet der Dinge ermöglicht Luftfahrtunternehmen etwa, den Kundenservice, aber auch das interne Management zu optimieren:

  • Verbesserung des Passagier-Service: Die Klimaanlage in der Kabine kann beispielsweise durch die Verteilung strategisch platzierter Temperatursensoren in der gesamten Kabine automatisch gesteuert und optimiert werden.
  • Sicherheit: Die verschiedenen Komponenten eines Flugzeugs verfügen über Sensoren zur Messung bestimmter Einstellungen und können miteinander und/oder mit einem zentralen System kommunizieren. Das erhöht die Sicherheit des Flugzeugs und ermöglicht es, Diagnosen in Echtzeit durchzuführen. So können Wartungs- und Präventivmaßnahmen durchgeführt werden, die die Betriebszeit des Flugzeugs verlängern und seine Sicherheit erhöhen.
  • Kosten: Die Wahl der effizientesten Route bei gleichzeitiger Optimierung des Treibstoffverbrauchs reduziert effektiv Kosten. AirAsia hat bereits ein System mit diesen Eigenschaften implementiert, das dem Unternehmen über einen Zeitraum von fünf Jahren geschätzte Einsparungen von 30 bis 50 Millionen Dollar bringen wird.

Gastgewerbe

Das Internet of Things hat das Potenzial, auch das Gastgewerbe zu verändern, indem es die Art und Weise wie Hotels, Ferienanlagen, Kasinos, Restaurants und andere Freizeitdienstleistungsunternehmen Daten sammeln, mit den Nutzern kommunizieren und Prozesse automatisieren, grundlegend verändern. Das Internet der Dinge bietet diesen Unternehmen folgende Vorteile:

  • Optimierung der Prozesse durch Senkung der Betriebskosten, Steigerung der Produktivität und Entwicklung neuer Dienstleistungen. Beispielsweise passen die Gäste oft nicht die Temperatur in ihrem Zimmer an und vergessen manchmal, den Fernseher oder das Licht auszuschalten. IoT-Lösungen können die Temperaturen automatisch anpassen und Licht und Fernseher ausschalten, wenn die Gäste ihr Zimmer verlassen. Durch Energieeinsparungen können Hotels auch Geld sparen.
  • Verbesserung des Gästeservice und Komforts durch das Angebot individueller, personalisierter Produkte und Dienstleistungen, etwa bei der Auswahl und dem Angebot von Speisen und Getränken in der Gastronomie.
  • Proaktive Überwachung kritischer Infrastrukturen.

Smart Farming

Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), auch Welternährungsorganisation genannt, wird die Welt im Jahr 2050 70 % mehr Nahrungsmittel produzieren müssen, da die landwirtschaftlichen Nutzflächen schrumpfen und die endlichen natürlichen Ressourcen erschöpft sind.

Die begrenzte Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen wie Frischwasser und Ackerland sowie die sich verlangsamenden Ertragstrends bei verschiedenen Grundnahrungsmitteln haben das Problem weiter verschärft.

IoT kann in der Agrartechnik durch spezialisierte Ausrüstung, drahtlose Konnektivität, Software und IT-Dienstleistungen Lösungen schaffen.

So ist etwa IoT Smart Farming Solutions ein System, das bei der Überwachung des Anbaufeldes mit Hilfe von Sensoren (Licht, Feuchtigkeit, Temperatur, Bodenfeuchtigkeit, Pflanzengesundheit usw.) und bei der Automatisierung des Bewässerungssystems unterstützt. Die Landwirte können die Feldbedingungen von überall überwachen und zwischen manuellen und automatisierten Optionen wählen. Auf Grundlage dieser Daten können sie die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Wenn zum Beispiel die Bodenfeuchtigkeit abnimmt, kann der Landwirt die Bewässerung sensorgesteuert starten. Smart Farming ist im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft sehr effizient.

Umsetzung von IoT-Projekten – Das Ziel ist entscheidend

Nach einem Bericht von Microsoft aus dem Jahr 2019 scheitern 30 % der IoT-Projekte allein in der Proof-of-Concept-Phase. Die Hauptgründe für das Scheitern sind

1) die Verwendung der falschen Technologien,
2) mangelnde Beteiligung, Unterstützung oder Verwaltung durch die IT und
3) mangelndes technisches Verständnis.

Neben diesen technischen Faktoren ist die Definition der Zielsetzung entscheidend. Die Planung und Umsetzung von IoT-Projekten erfordert zunächst eine Analyse der Wirkzusammenhänge – wie der Erfolg in der Praxis tatsächlich aussehen soll und gemessen werden kann. Soll es die Rationalisierung eines bestehenden Prozesses sein? Oder die Ermöglichung eines neuen Prozesses? Das Ziel könnte aber auch darin bestehen, den Lebenszyklus alter Maschinen durch vorausschauende Wartung zu verlängern.

Es gilt, auf Grundlage des Anwendungsfalles, der spezifischen Branche und der Geschäftsanforderungen zu entscheiden, was den Erfolg ausmacht bzw. das Ziel sein soll. Die Definition des Zieles ist letztlich entscheidend für den Erfolg eines IoT-Projektes.

mm1 hat in der Grafik „Manage the Internet of Things“ die Wertschöpfungsketten und Strukturen von IoT-Geschäftsmodellen zusammengefasst.

Internet of Things

Herausforderungen – es gibt noch viel zu tun

Da sich der IoT-Markt noch in der Entwicklung befindet, ist der Zeitpunkt für eine Beteiligung daran günstig. Interessierte Unternehmen haben dabei jedoch einige Herausforderungen zu bewältigen:

  • Fehlende Standards: Auch wenn IoT-Standards und -Initiativen etabliert sind, bleibt das Fehlen dominanter Industriestandards in Bezug auf Geräteüberwachung und -verwaltung sowie Datenerfassung, -verarbeitung und -analyse ein Problem. Dieses Problem kann allerdings auch eine Chance für große Plattformen sein, ihre eigenen Standards zu setzen.
  • Konnektivität: Das Internet ist immer noch nicht überall mit der gleichen Geschwindigkeit verfügbar. Daher hängt die Qualität der Signale, die von den Sensoren gesammelt und an die Netzwerke übertragen werden, weitgehend von den Routern, LAN, MAN und WAN ab. Diese Netzwerke müssen durch verschiedene Technologien gut miteinander verbunden sein, um eine schnelle und qualitativ hochwertige Kommunikation zu ermöglichen. Problematisch ist, dass die Anzahl der angeschlossenen Geräte viel schneller wächst als die Netzabdeckung, was zu Überwachungs- und Verfolgungsproblemen führt.
  • Lebensdauer der Batterie: Einer der Faktoren, der die Verwendung von drahtlosen Batterien am stärksten einschränkt, ist ihre begrenzte Lebensdauer.
  • Unterbrechung der Verbindung: Wenn die Verbindung unterbrochen wird oder der Cloud-Dienst selbst abstürzt, funktioniert auch die IoT-Anwendung nicht. Kurzfristige Nichtbetriebsfähigkeit mag für bestimmte IoT-Anwendungen, wie z.B. Smart Farming, verkraftbar sein, für andere Bereiche ist sie jedoch verheerend. Anwendungen, bei denen Gesundheit oder Sicherheit eine Rolle spielen, dürfen nicht einmal für Sekunden ausfallen.
  • IoT-Kompetenz: Unternehmen müssen entscheiden, ob sie IoT-Kompetenz einkaufen oder selbst aufbauen, welche Rolle sie im Ökosystem spielen wollen und wie sie ihre Aktivitäten entsprechend anpassen.
  • Datenverarbeitung: Eine angemessene Datenverarbeitung ist in zweierlei Hinsicht grundlegend für den Erfolg:

    • Erstens ist das Dateneigentum eine notwendige Voraussetzung für den (langfristigen) Erfolg. Das gilt insbesonders, wenn IT-Firmen versuchen, sich als Vermittler auf dem Markt zu positionieren. Daher müssen auch traditionelle Branchen Kompetenzen hinsichtlich der Datenspeicherung, -verarbeitung und insbesondere auch -sicherheit aufbauen.
    • Zweitens erfordert die zunehmende Menge und Komplexität persönlicher Daten sowie großer Datenmengen starke Kapazitäten im Bereich der Datenstrukturierung und -analyse.

Keine Zukunft ohne Internet der Dinge

Die meisten Industriezweige befinden sich hinsichtlich Internet of Things bereits mitten in einem gewaltigen Wandel, indem sie ihre Produkte mittels IoT miteinander verbinden und neue Geschäftsmodelle dafür entwickeln. Insbesondere in der produzierenden Industrie erarbeiten sich Unternehmen, die IoT-Innovationen konsequent umsetzen, einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Wer hier zu langsam agiert, wird auf lange Sicht nicht bestehen, da nicht mit Qualität oder Preis konkurriert werden kann.

Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Informieren Sie sich auch über unsere Tagungen zu den folgenden Themen:

Gabriel Mertens

Gabriel Mertens

Girl in a jacket

Gagan Pathinti Venkatesh

Gagan Pathinti Venkatesh

Girl in a jacket

Digitaler Zwilling – der Weg zum Smart Engineering

Digitaler Zwilling

Ich kaufe eine neue Maschine, ein paar Werkzeuge dazu und eine Steuerung. Diese neue Maschine soll eine wichtige Rolle in der Verbesserung des Fertigungsprozesses meiner Fabrik spielen. Die Lieferzeit ist zwei Monate. Schon jetzt kann ich mir aber die Digitalen Zwillinge (Digital Twins) der Maschine, der Werkzeuge und der Steuerung runterladen. Diese baue ich gleich in den Digitalen Zwilling meiner bereits bestehenden Fabrik ein.

Wo wird die neue Maschine ideal platziert, um die Transportwege und die Ergonomie zu optimieren? Wie kann ich den CO2-Footprint meiner Fabrik optimieren? Wie muss ich den Steuerungscode für die Maschine abhängig vom verwendeten Werkzeug programmieren, um die Produktionszeit möglichst kurz zu halten, aber trotzdem Kollisionen zu vermeiden. Diese und viele andere Fragen kann ich vorab am Digitalen Zwilling analysieren und lösen, noch bevor die Maschine geliefert wird.

Ist das alles nur eine Industrie 4.0-Vision, oder bereits Realität?

Digitaler Zwilling, was ist neu?

Die Bezeichnung Digitaler Zwilling (auf Englisch: Digital Twin) ist fast selbsterklärend: Das Wort Digital gibt den Hinweis, dass es sich beim Digitalen Zwilling um eine digitale Repräsentanz von etwas Realem handelt. Das Reale kann z.B. ein Produkt, eine Maschine oder ein Prozess sein. Das Wort Zwilling impliziert, dass die Eigenschaften des Zwillings dem realen Gegenpart möglichst ähnlich sein sollen.

So wie die Eigenschaften von zwei menschlichen Zwillingen nie 100% identisch sind, so wird auch der Digitale Zwilling nie in den Eigenschaften identisch mit jenen des realen Gegenparts sein. Wichtig ist nur, dass er in allen für uns relevanten Eigenschaften so gut wie identisch ist.

Digitaler Zwilling

Ist also ein Digitaler Zwilling nur ein anderes Wort für ein Modell und der darauf basierenden Simulation? Ja, aber bisher hat man unter einem Modell etwas verstanden, das nur einen bestimmen Aspekt modelliert hat, also nur aus einem Blickwinkel dem Realen möglichst ähnlich war. Man kann das auch Digitalen Schatten nennen.

Die Erwartungshaltung an den Digitalen Zwilling ist, dass er in allen wesentlichen Aspekten und Blickwinkeln die Eigenschaften des Realen modelliert. Zum Zeitpunkt des Erwerbs der Maschine weiß der Maschinenhersteller ja noch nicht, was ich mit dieser Maschine im Laufe des Maschinenlebens machen werde.

Deshalb soll der Digitale Zwilling ein Multi-Purpose-Modell sein. Oft bedingt die Erwartungshaltung an diese unterschiedlichen Anwendungsfälle, dass der Digitale Zwilling viele physikalische Methoden (Multi-Physics) abdecken muss: wenn ich die Maschine unter Voll-Last betreiben will, dann kann zusätzlich zum mechanischen Bewegungsablauf die Temperaturentwicklung ein wichtiger Aspekt sein.

Multi-Purpose und Multi-Physics

Ein guter Digitaler Zwilling muss also oft mehrere Aspekte abdecken. Klassiker sind:

  • die Steifigkeit und Festigkeit der Konstruktion bei Produkten, die hohen Belastungen ausgesetzt werden und/oder sehr leicht gebaut werden sollen;
  • die Fluid-Dynamics beispielsweise beim Spritzguss von Kunststoffteilen;
  • das thermische Modell, um Überhitzungen zu vermeiden;
  • das akustische Modell, um die Geräuschentwicklung auch ohne Bau von Prototypen beeinflussen zu können;
  • die elektromagnetischen Eigenschaften, beispielsweise um einen Elektromotor bei geringem Gewicht möglichst leistungsstark zu machen;
  • das kinematische Modell bei Robotern, um schon vorab die Bewegungen so zu optimieren, dass es keine Kollisionen gibt;
  • die dynamischen Modelle, um die Regler zu optimieren;
  • die Modellierung der Elektronik, um die Funktion in allen Lebenssituationen sicherstellen zu können;
  • die Modellierung von Materialermüdung und Verschleiß, beispielsweise um sicherheitskritische Bauteile richtig zu dimensionieren
  • aber auch Spezialmodelle wie Batteriemodelle oder Reifenmodelle, um nur ein paar der zu berücksichtigenden Aspekte zu nennen.

Nicht bei jedem Digitalen Zwilling sind alle Aspekte relevant. Sehr oft ist aber mehr als einer der genannten Punkte wichtig.

Es gibt entlang der Wertschöpfungskette unterschiedliche Einsatzgebiete von Digitalen Zwillingen, die sich in der Struktur deutlich unterscheiden:

Der Digitale Zwilling des Produktes

Ein Teil des Digitalen Produkt-Zwillings ist dessen 3D-Konstruktionszeichnung (CAD-Zeichnung). Das ist aber noch lange kein vollständiger Digitaler Zwilling, da die Konstruktionszeichnung ja nur die Form und das Material spezifiziert. Sie spezifiziert nicht, wie sich das Produkt beim Einsatz verhalten wird, und schon gar nicht wie es sich dynamisch verhält. Bei einem komplexen Produkt wie einem Auto können alle der oben genannten physikalischen Modelle benötigt werden.

Die digitale Repräsentanz ist dann meist eine Sammlung der relevanten 3D-Finite-Elemente-Modelle (z.B. mit den Siemens Simcenter-Produkten) zusätzlich zu den Konstruktionszeichnungen (z.B. im Siemens Produkt NX) der einzelnen Teile des Produktes (man nennt das Bill-of-Material)

Der Digitale Zwilling der Produktion

Auch bei der Produktion sind die Konstruktionszeichnungen der Produktionsmaschinen und Roboter und ein Plan der Fabrik, in der eingezeichnet ist, wo welche Maschine steht, nur ein Teil des Digitalen Zwillings. Das ist somit bei weitem kein vollständiger Digitaler Zwilling. Ich muss ja auch die genauen Produktionsprozesse und deren Dynamik kennen und wissen, welche Rolle der Mensch in der Produktion übernimmt. Ich muss deshalb zwischen dem Digitalen Zwilling der Produktions-Anlage (was habe ich in meiner Fabrik) und dem Digitalen Zwilling der Produktions-Prozesse (was tue ich damit in meiner Fabrik) unterscheiden.

Die digitale Repräsentanz ist in diesem Fall meist ein Bewegungsmodell der Maschinen, Roboter, Menschen und des Materialflusses in der Fabrik (z.B. mit den Siemens Tecnomatix-Produkten) zusätzlich zur Liste der benötigten Maschinen und Mitarbeiter*innen (die sogenannten Bill-of-Resources) und der Liste der erforderlichen Arbeitsschritte (Bill-of-Process), die z.B. im Siemens Teamcenter abgebildet sind.

Ergonomie-Optimierung mit Digitalem Zwilling

Der Digitale Zwilling der Performance

Wenn ich ein Produkt produziert habe, möchte ich wissen, was dieses Produkt im Laufe seines Lebens erlebt und wie es sich dabei verhält. Wenn ich Maschinenbauer bin und eine Produktionsmaschine gebaut habe, möchte ich wissen, was diese Maschine in der Produktion im Laufe des Lebens erlebt und wie sie sich dabei verhält. Das hilft mir, mein Produkt an die Markterfordernisse anzupassen und laufend zu verbessern. Dadurch habe ich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber meinen Mitbewerbern, die nur aus Kunden-Reklamationen erfahren, wenn ihr Produkt keine zufriedenstellende Performance gezeigt hat.

Diese Daten über den Lebenszyklus des Produktes oder der Maschine nennen wir den Digitalen Performance-Zwilling, da er mir kontinuierlich Informationen über die Performance meiner Produkte am Markt gibt. Die digitale Repräsentanz ist in diesem Fall eine große Menge an Datenpunkten, die in eine datensichere Cloud übertragen werden. Sie ermöglichen mir, das Verhalten meines Produktes zu beschreiben. Diese Beschreibung kann auch Modellierung genannt werden (z.B. mit Siemens MindSphere).

Edge-Computing: das „EKG“ für Maschinen

In manchen Fällen muss ich eine sehr feine zeitliche Auflösung der Datenpunkte wählen, beispielsweise jede tausendstel Sekunde einen neuen Datenpunkt erfassen, um das dynamische Verhalten meines Produktes / meiner Maschine genau zu verstehen. Das ist ähnlich wie der Unterschied zwischen einer Pulsmessung und einem EKG des Herzens, wie wir es bei uns selbst kennen. Das EKG hat eine viel feinere zeitliche Auflösung und verrät viel mehr über den Gesundheitszustand des Herzens als nur die Pulsmessung.

Durch die feine zeitliche Auflösung entstehen aber sehr viele Daten. Diese Daten geben genau Auskunft über die Verwendung, weshalb Kunden trotz Industrie 4.0 diese Daten lieber nicht außer Haus geben wollen. In diesem Fall verarbeiten wir die Daten gleich vor-Ort direkt bei der Maschine – man nennt das Edge-Computing – und übertragen nur das Ergebnis der Analyse in die Cloud. So wird Big Data zu Smart Data: man spart sich Bandbreite für die Übertragung und kann vertrauliche Daten im Haus behalten (z.B. mit Siemens Industrial Edge).

Der Digitale Zwilling ist bereits Realität

Wo stehen wir mit den Digitalen Zwillingen / Digital Twins im Zeitalter des Internet der Dinge (auf Englisch: Internet of Things bzw. IoT) und Industrie 4.0? Wie passen Vision und Realität zusammen?

Vision 1: Der Digitale Zwilling deckt alle relevanten Eigenschaften ab

Das ist heute Realität: die industriellen Simulationspakete sind bewusst so gestaltet, dass sie für ein Gebiet möglichst alle relevanten Eigenschaften modellieren können. Das gilt insbesondere, so lange ich nicht mehrere physikalische Eigenschaften im Dreidimensionalen (3D) kombinieren will.

Vision 2: Unterschiedliche Digitale Zwillinge können leicht untereinander und/oder mit realen Geräten verbunden werden

Vieles davon ist heute schon machbar, wenn man weiß wie es geht. Es ist aber noch viel Arbeit zu investieren, bis unterschiedliche physikalische Eigenschaften einfach durch ein paar Mausklicks zu einem Multi-Physik-Digitalen Zwilling zusammengeschaltet werden können. Eine Ausnahme sind jene Tools, die sich nicht auf dreidimensionale (3D) Eigenschaften, sondern auf die dynamischen Eigenschaften (1D) fokussieren (z.B. Siemens Simcenter Amesim). Diese eignen sich besonders gut, unterschiedliche physikalische Eigenschaften zu kombinieren.

Den Digitalen Zwilling einer neuen Maschine in den Digitalen Zwilling der bestehenden Fabrik einzuspielen, ist bereits möglich. Allerdings erfordert es ähnlichen Aufwand, wie die reale Maschine in die reale Fabrik einzubinden.

Virtuelle Inbetriebnahme mittels Digitalem Zwilling

Die Zusammenschaltung eines Digitalen Zwillings einer noch nicht gebauten Maschine mit dem Digitalen Zwilling der Steuerung oder auch der realen Steuerungshardware ist heute eine Standardanwendung für die Virtuelle Inbetriebnahme (auf Englisch: Virtual Commissioning). Bei der Virtuellen Inbetriebnahme wird eine neue Maschine – noch bevor sie gebaut wird – als Digitaler Zwilling in Betrieb genommen. Bei dieser Virtuellen Inbetriebnahme wird die Funktion der Maschine im Detail getestet. So kann beispielsweise festgestellt werden, ob die Maschine eine Kollision verursachen würde. Auf diesem Digitalen Zwilling läuft auch derselbe Programmcode, der dann in der realen Welt läuft (z.B. mit Siemens SIMIT, TIA-Portal and PLCSIM Advanced, Mechatronic Concept Designer, Process Simulate, Plant Simulation, SIMATIC, SINUMERIK)

Vision 3: Was immer ich kaufe, ich bekomme gleich den Digitalen Zwilling dazu

Das ist ein klarer Trend, aber noch nicht selbstverständlich. Große Industriekunden beginnen Lieferanten auszuschließen, die nicht bereit sind, den Digitalen Zwilling mitzuliefern.

Hersteller verfügen oft über eine 3D-Konstruktionszeichnung ihrer Maschine. Diese enthält jedoch jedes Detail der Konstruktion und verrät damit Firmengeheimnisse. Deswegen ist die Bereitschaft  gering, diese 3D-Modelle mit der Maschine mitzuliefern. Die genauen Konstruktionsdetails, wie z.B. jede einzelne Schraube in der Maschine, sind für den Digitalen Zwilling jedoch gar nicht erforderlich, ja sogar hinderlich.  So ein komplexes Modell wäre nicht schnell genug. Deshalb ist es erforderlich, die genauen Konstruktionsdaten auf das Wesentliche zu vereinfachen, wodurch auch die Firmengeheimnisse nicht mehr enthalten sind. Dieser Modellvereinfachungsprozess ist jedoch mit Aufwand verbunden. Da stellt sich schnell die Frage, wer die Kosten dafür übernimmt.

Digital Twin bei Fa. Heinrich Georg

Bei der neuesten Generation von Werkzeugmaschinen, die mit einer Siemens SINUMERIK ONE Steuerung ausgeliefert werden, ist es gelungen, den Entwicklungsprozess der Maschinen so zu gestalten, dass immer ein Digitaler Zwilling zur Verfügung steht. Ohne Digitalen Zwilling hätte diese Generation von Maschinen gar nicht entwickelt werden können. Der Kunde profitiert davon, dass er sich nicht selbst um den Digitalen Zwilling kümmern muss.

Vision 4: Digitale Zwillinge werden nicht nur für die virtuelle Inbetriebnahme, sondern auch für die Optimierung und die Anomalie-Erkennung eingesetzt

Die einfachste Anwendung des Digitalen Zwillings ist die Virtuelle Inbetriebnahme: das bedeutet, dass die Maschine noch gar nicht gebaut wurde, aber trotzdem als Digitaler Zwilling schon programmiert und in Betrieb genommen werden kann. Das verkürzt die reale Inbetriebnahme signifikant, da Fehler schon gefunden werden können, bevor die Maschine gebaut wurde. Die Programmierung kann parallel zur Fertigung der Maschine durchgeführt werden – auch das spart Zeit. Die Mitarbeiter können sogar schon vorab eingeschult werden, um nach der Lieferung die Maschine möglichst schnell produktiv einsetzen zu können.

So wertvoll die Anwendung des Digitalen Zwilling für die Virtuelle Inbetriebnahme ist, ist es doch nur ein erster Schritt einen Digitalen Zwilling nutzbringend einzusetzen. Hier wird ja nur eine Variante der Maschine als Digitaler Zwilling eingesetzt.

Generative Design

Viel spannender ist es, nicht nur eine Variante, sondern Milliarden von Varianten der Maschine als Digitalen Zwilling zu testen. Von diesen vielen Varianten wähle ich mir dann mithilfe von Optimierungsalgorithmen jene aus, die für meine Anwendung am besten geeignet ist (z.B. mit Siemens HEEDS) . „Am besten“ kann bedeuten, dass diese Variante den geringsten CO2-Footprint hat oder eine andere Kostenfunktion minimiert. Man nennt das oft Generative Design, da für das Design der Maschine so viele Varianten generiert werden, bis man die optimale Variante gefunden hat. Das kann man dann mit Recht Smart Engineering nennen.

Die höchste Stufe des Einsatzes Digitaler Zwillinge ist erreicht, wenn man eine Durchgängigkeit von Digitalen Zwillingen für die ganze Fabrik bzw. das ganze Unternehmen umgesetzt hat und gesamtheitlich (holistisch) Prozesse über das ganze Unternehmen optimieren kann.

Eine weitere Anwendung des Digitalen Zwillings ist die Anomalie-Erkennung (auf Englisch: Anomaly-Detection). Weiß mein Digitaler Zwilling, wie meine Maschine agieren sollte, wenn sie korrekt arbeitet, kann ich leicht feststellen, wenn sie es nicht tut. Ich kann schon bei geringer Abweichung zwischen dem erwarteten Soll-Zustand und dem aktuellen Ist-Zustand einen Alarm auslösen. Auf diese Weise kann ich frühzeitig eine Wartung durchführen, noch bevor die Maschine wirklich ausfällt (zustandsabhängige Instandhaltung, auf Englisch: Condition-Based Maintenance). Wenn mein Digitaler Zwilling sogar den Zeitpunkt eines bevorstehenden ungeplanten Ausfalls abschätzen kann, spricht man von prädikativer Instandhaltung (auf Englisch: Predictive Maintenance).

Vision 5: Die TÜV-Sicherheitsfreigabe für eine Fertigungslinie kann schon am Digitalen Zwilling erfolgen bzw. vorbereitet werden

Eine Fertigungslinie darf erst in Betrieb genommen werden, wenn die Sicherheit von einer Zertifizierungsstelle wie dem TÜV zertifiziert wurde. Das gilt auch für jede Änderung an der Fertigungslinie. Das ist eine große Herausforderung, wenn man eine flexible Fertigung aufbauen will, die man leicht an das jeweils zu produzierende Produkt anpassen kann. Die TÜV-Prüfung wird insbesondere dann aufwändig, wenn die Fertigungslinie im aktuellen Zustand nicht die Sicherheitsanforderungen erfüllt und verbessert werden muss, um die Sicherheitsfreigabe zu erhalten. Ein Digitaler Zwilling kann helfen, die Sicherheitsprüfung vorzubereiten, wenn er zusätzlich die Sicherheitsaspekte berücksichtigt (siehe z.B. unsere Forschung dazu in der smartfactory@tugraz).

Es bleibt aber eine Vision, dass von der Zertifizierungsstelle das Gesamtsystem (inkl. Sicherheitsüberprüfung via Digitalem Zwilling) als sicher freigegeben wird und jede Änderung, die sich innerhalb der Grenzen des freigegeben Gesamtsystems abspielt, von Algorithmen unterstützt direkt über den Digitalen Zwilling freigegeben werden kann.

Vision 6: Der Digitale Zwilling lernt von selbst dazu und wird immer besser

Mit den heute verfügbaren Künstliche Intelligenz-Methoden – wie beispielsweise Neuronalen Netzen – ist dies möglich. Dieser Lernvorgang muss jedoch von Experten geeignet aufgesetzt werden. Die derzeit industriell eingesetzten automatischen Lernvorgänge sind sehr spezifisch für die Anwendung aufgesetzt und lernen meist nur einzelne Parameter eines Digitalen Zwillings.

Beispiel: ein Werkzeug mit hohem Verschleiß wird beim Betrieb der Maschine mehr Krafteinsatz abverlangen als ein neues Werkzeug. Deshalb ist der Verschleiß ein wichtiger Parameter für den Betrieb der Maschine und sollte vom Digitalen Zwilling berücksichtigt werden. Es macht daher Sinn, den Verschleißgrad immer aktuell mitzulernen und so den Digitalen Zwilling an die aktuelle Situation anzupassen.

Ein „Hampelmann“ ist kein Digitaler Zwilling

Bei einer komplizierten Maschine oder einer Roboter-Fertigungslinie könnte man einfach die aktuelle Position aller Komponenten am Bildschirm fotorealistisch darstellen. Das sieht dann sehr nett aus, wenn man den Bildschirm direkt neben die Maschine stellt und sich die Maschine am Bildschirm genau gleich bewegt wie die echte Maschine. Das hat aber nichts mit dem oben beschriebenen Digitalen Zwilling zu tun. Ich nenne das etwas abfällig einen „Digitalen Hampelmann“. Der große Unterschied: beim Digitalen Hampelmann werden nur die aktuellen Ist-Positionen gemessen und angezeigt, ohne die Eigenschaften der Maschine zu kennen. Hingegen wird beim echten Digitalen Zwilling der Zwilling mit den gleichen Steuerungsdaten versorgt wie die echte Maschine und berechnet in Kenntnis der Eigenschaften der Maschine, wie er sich verhalten muss. Bewegt sich dann der Digitale Zwilling synchron mit der realen Maschine, hat man Grund stolz zu sein, denn es bedeutet, dass man die wesentlichen Eigenschaften der Maschine im Digitalen Zwilling richtig modelliert hat.

Fast alles ist möglich, wenn man weiß wie

Es ist faszinierend, was heute schon alles mit den state-of-the-art Simulationstechnologien umsetzbar ist. Die Kunst ist, die wesentlichen Eigenschaften von den unwesentlichen zu trennen. Das reduziert signifikant die Rechenzeit. Weiters ist es eine Herausforderung, Modelle aus unterschiedlichen Domänen zu einem reifen Digitalen Zwilling zusammenzuschalten. Das erhöht nämlich meist signifikant die Rechenzeit.

Das Ziel ist ein Digitaler Zwilling, der mit der heutigen Rechenleistung die Ergebnisse ausreichend schnell berechnen kann. In vielen Anwendung ist erforderlich, dass der Digitale Zwilling in Echtzeit läuft. Für komplexere Optimierungen, bei denen im Vorfeld Tausende von Szenarien durchgespielt werden, kann der Digitale Zwilling auch langsamer oder im Idealfall schneller als in Echtzeit laufen.

Die Fertigungsindustrie ist der Pionier, aber in fast allen Lebensbereichen sind Digitale Zwillinge / Digital Twins relevant

In diesem Beitrag lag der Fokus auf dem Einsatz von Digitalen Zwillingen in der Fertigungsindustrie. Das liegt daran, dass die Fertigungsindustrie hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Das ist auch den Industrie 4.0-Initiativen in der DACH-Region zu verdanken. Das Konzept der drei Zwillinge für Produkt, Produktion und Performance kann ich aber in fast allen Lebensbereichen umsetzen.

Jedes Unternehmen hat ein Produkt oder eine Dienstleistung, die über den Digitalen Zwilling optimiert werden können. Das Produkt oder die Dienstleistung herzustellen bzw. durchzuführen  entspricht der Produktion. Auch diesen Umsetzungsprozess kann ich über einen Digitalen Zwilling optimieren. Das Produkt oder die Dienstleistung hat über die Lebenszeit eine Wirkung. Diese Wirkung kann ich optimieren, wenn ich die Performance Daten bzw. den Digitalen Zwilling der Performance zur Verfügung habe.

Schon heute werden solche Konzepte in der Medizintechnik, in der Energietechnik, in der Gebäudetechnik, bei Transport und Logistik, bei IT-Dienstleistern und vielen anderen Lebensbereichen eingesetzt. Und das wird sich noch verstärken.

Digitaler Zwilling vom menschlichen Herz

Wenn Sie industrielle Umsetzungen von Digitale Zwillingen kennenlernen wollen, dann besuchen Sie doch eine der drei Österreichischen Pilotfabriken in Wien, Graz oder Linz. Oder informieren Sie sich vorab unter siemens.at/pilotfabriken bzw. über das Labs Network Industrie 4.0 unter LNI40.de für die gesamte DACH-Region, die Plattform Industrie 4.0 Österreich, die Plattform Industrie 4.0 Deutschland und die Plattform Industrie 4.0 Schweiz bzw. Industrie 2025 Schweiz.

Fazit: Digitaler Zwilling verbessert Geschäftsabläufe

Pilotfabrik smartfactory@tugraz

Der Digitale Zwilling modelliert alle wesentlichen Eigenschaften von seinem realen Gegenstück und kann es testhalber ersetzen – noch bevor das reale Produkt, die reale Maschine, der reale Prozess wirklich gebaut oder umgesetzt wurde. Das ermöglicht mir schon vorab tausende Varianten des Digitalen Zwillings durchzutesten und nur die beste davon real umzusetzen. Das spart Zeit und Geld und erhöht die Qualität des Ergebnisses.

Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Informieren Sie sich auch über unsere Tagungen zu den folgenden Themen:

Prof. DI. Dr. Michael Heiss

Prof. DI. Dr. Michael Heiss

Logo Siemems